Erich Itor Kahn (1905 – 1956)

Erich Itor Kahn (gezeichnet von Niklaus Bächli)

Il fait noir, enfant, voleur d’étincelles!

Tristan Corbière

Erich Itor Kahn wurde 1905 in Rimbach, Deutschland geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Königstein in einer aufgeschlossenen und künstlerisch wachen Atmosphäre. Sein Vater war Lehrer und Kantor, seine Mutter eine begabte Amateur-Sängerin. Mit etwa dreizehn Jahren entdeckte er Arnold Schönberg, dessen Ästhetik in seinem eigenen Werk eine Schlüsselrolle spielen sollte. Mit sechzehn Jahren trat er, gegen den Widerstand seiner Eltern, in das Musikkonservatorium in Frankfurt ein. Als er 1928 seine Ausbildung am Konservatorium abschloss, fand er als Musikdirektor eine Stelle am Radio Frankfurt, wo er mit Künstlern wie Hans Rosbaud, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky, Anton Webern, Béla Bartók, Alban Berg und Vladimir Horowitz in Kontakt kam.

Mit der Machtübernahme der Nazis verlor Erich Itor Kahn 1933 seine Stelle und emigrierte mit seiner Frau, der Pianistin Frida Kahn, nach Paris, wo er sich als Interpret und Lehrer erneut zu etablieren vermochte. Wieder ereilte ihn die Katastrophe, dieses Mal durch die Invasion der Nazis in Frankreich. Nach verschiedenen Internierungen in französischen Lagern gelang dem Ehepaar Kahn schliesslich mit knapper Not die Flucht nach New York. Hier mussten sie 1941 wieder ein neues Leben anfangen. Als Kahn 1956 in New York nach einem Schlaganfall starb, war er in der Öffentlichkeit vor allem als Kammermusiker von überragender Gestaltungskraft und Sensibilität bekannt. Sein zentrales Anliegen war aber das Komponieren.

Erich Itor Kahn hinterliess ein schmales, hochkonzentriertes Oeuvre: Klavierwerke, Lieder und Kammermusik in wechselnden Besetzungen. Obwohl die Methode der Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen in Kahns musikalischem Denken eine zentrale Rolle spielte, war seine Anwendung von Schönbergs Prinzip ausserordentlich frei.

Während seiner Jahre in Frankreich begann Kahn mit Elementen der traditionellen jüdischen Musik zu arbeiten (etwa in Les Symphonies bretonnes, Petite Suite bretonne, Trois Chansons populaires sowie Drei Madrigale und Chassidische Rhapsodie). Auf die Katastrophe des Nationalsozialismus reagierte Kahn mit Werken wie Ciaccona dei tempi di guerra (für Klavier), Nenia Judaeis qui hac aetate perierunt (für Cello und Klavier) oder dem Lyrischen Konzert (für Sopran und Klavier). Zeitlebens korrespondierte Kahn mit Freunden wie Erich Schmid in Zürich oder René Leibowitz in Paris – dieses Netz war für alle Beteiligten überlebenswichtig, sowohl in künstlerischer als auch in persönlicher Hinsicht.

Vielleicht ist ein zeitlicher Abstand nötig, um die Originalität von Kahns Musik zu erkennen. Sie verbindet hohes kompositorisches Können mit einem ungewöhnlichen Drive. Für Interpreten und Hörer stellt diese Musik hohe Ansprüche. Und doch überzeugt sie auch beim ersten Hören auf der unmittelbaren Ebene des Klangs.