Leopold Spinner (1906 – 1980)

Leopold Spinner (gezeichnet von Niklaus Bächli)

Nein, mein lieber Spinner, nichts darf uns beide zum Schweigen zwingen. Über alles hinweg: wir dürfen unsere Beziehungen nicht aufgeben. Spezielle und allgemeinste Verhältnisse sind solcher Art, dass wir die Pflicht haben uns gegenseitig viel zu bedeuten. Und Du hast recht: halten wir es vor allem mit der Musik; – erst recht was unsere Korrespondenz betrifft.

Philip Herschkowitz an Leopold Spinner, 1940

Leopold Spinner wurde in Lemberg geboren. 1914 zog die Familie nach Wien, und ab 1925 studierte Spinner an der Universität Wien Latein, Propädeutik, Philosophie und musikwissenschaftliche Fächer. Er begann seine Studien 1935 bei Anton Webern, als er seine universitären Ausbildungen und die Kompositions-Lehrjahre bei Paul A. Pisk abgeschlossen und sich als 29-Jähriger bereits einen gewissen Boden als Komponist und Lehrer erarbeitet hatte. Anders als Alban Berg und Anton Webern, welche die Pionierjahre der neuen Schule Schönbergs mitgemacht und in gewissem Sinne mitgeprägt hatten, öffnete sich Leopold Spinner einem allmählich etablierte Formen annehmenden Kompositionshandwerk und wählte als junger bereits berufstätiger Komponist bewusst die Zwölfton-Technik als Erweiterung seines Wissens. 1936 war er Preisträger des Henry-le-Boeuf-Preises in Brüssel.

Spinner setzte sich während seiner Studien bei Webern intensiv mit Bach auseinander, und es hat ihn zeit seines Lebens grundsätzlich immer interessiert «wie die anderen Komponisten es machen», so dass die spätere Tätigkeit als Editor bei Boosey & Hawkes seiner Neugier durchaus entgegen kam: «doch… war es schön, an Ihrer Musik zu arbeiten; mich interessierte immer die Idee und Mathematik, die in jeder Musik steckt, wenn man nur darum suchen will.» (an Gottfried von Einem)

1939 emigrierte Leopold Spinner nach England, lebte zuerst in London, dann – zusammen mit seiner Frau Dr. Johanna Goldstein und ihrer beider Tochter Margaret – in Bradford, Leeds, erneut London, Mitcham, und zuletzt wieder in London. In Bradford war es ihm erlaubt, Abendkurse über Musik zu geben. Eine Bewerbung am Music Collage Manchester blieb ohne Erfolg. 1942-46 arbeitete er als Maschinist in der Lokomotiv-Herstellung im «war employment».

Obwohl Spinner durch die Emigration nach London viele Kontakte und sein Berufsfeld verloren hatte, hatte er während und nach dem Krieg doch immer Verbindungen zu Musikern und Künstlern, die ihn zu unterstützen suchten, und nahm die Möglichkeit wahr, Verbindungen zu pflegen – sicher auch begünstigt durch seine Arbeit bei Boosey & Hawkes ab 1958 – und Unterstützung zur Bekanntmachung seiner Werke anzunehmen, wenn auch ohne weitreichenden Erfolg, da seine Vorstellung von seriöser Interpretation keine Flüchtigkeit der Einstudierung und keine Oberflächlichkeit zuliess, so auch keine Aufführungen nur um der Bekanntheit willen. Spinner lernte 1946 die Steuermann- und Webern-Schülerin Else Cross kennen. Als Pianistin setzte sie sich in Konzerten und im Unterricht immer wieder für Spinner ein und blieb die einzige Musikerin, die kontinuierlich Werke von Spinner aufführte.

1946 fand in London das erste IGNM Festival nach Kriegsende statt. Die eingereichten Werke Spinners wurden abgelehnt und nicht aufgeführt. Seine Versuche, seine Werke an Musikfestivals sowie in Darmstadt zur Aufführung zu bringen, scheiterten. Erst 1969 gelangen durch die Initiative von Gottfried von Einem Aufführungen in Österreich, und bis 1980 wurden verschiedene Werke Spinners verlegt sowie vom ORF aufgenommen und in Österreich, der Schweiz und England gesendet.

Ab 1947 erhielt Leopold Spinner die Gelegenheit, als Kopist für andere Komponisten zu arbeiten und wurde mit Kopistenarbeit und der Erarbeitung von Klavierauszügen für den Verlag Boosey & Hawkes betraut. Spinner gab auch Privatunterricht. Ab 1958 wurde er Editor bei Boosey & Hawkes (als Nachfolger von Erwin Stein), später Chief-Editor, und übte diese Tätigkeit bis zu seiner Pensionierung 1975 aus.

Leopold Spinner überlebte seine Frau um vierzehn Jahre und starb 1980 in London.