Fünf Lieder op. 8 (1953)

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)

I Wenn den Einsamen

Fragmente 1884 – 1885, 29[59] (Nachl.)

Wenn den Einsamen die große Furcht anfällt, wenn er läuft und läuft, er weiß selber nicht wohin?
wenn Stürme hinter ihm brüllen, wenn der Blitz gegen ihn zeugt, wenn seine Höhle mit Gespenstern ihn fürchten macht –

II Die Sphinx

Fragmente 1881, 13[22] (Nachl.)

Hier sitzest du, unerbittlich wie meine Neubegier, die mich zu dir zwang: wohlan, Sphinx, ich bin ein Fragender, gleich dir; dieser Abgrund ist uns gemeinsam – es wäre möglich, daß wir mit Einem Munde redeten?

III Der Einsamste

Fragmente 1884, 28[9] (Nachl.)

Nun, da der Tag
des Tages müde ward, und aller Sehnsucht Bäche
von neuem Trost plätschern,
auch alle Himmel, aufgehängt in Gold-Spinnetzen,
zu jedem Müden sprechen: “ruhe nun” –
Was ruhst du nicht, du dunkles Herz,
was stachelt dich zu fußwunder Flucht
weß harrest du?

IV Auf Höhen bin ich heimisch

Fragmente 1888, 20[53] (Nachl.)

Auf Höhen bin ich heimisch,
nach Höhen verlangt mich nicht.
Ich hebe die Augen nicht empor;
ein Niederschauender bin ich,
Einer, der segnen muß:
alle Segnenden schauen nieder …

V Morgen ist vorbei

Fragmente 1873, 31[1] (Nachl.)

Morgen ist vorbei und Mittag
senget heissen Blicks das Haupt
lasset uns in Lauben sitzen
und der Freundschaft Lieder singen,
die des Lebens Frühroth war:
Abendroth wird sie uns sein
doch zu Mittag ist sie nur ein Klang:
sagt, verhiess der Morgenhimmel
uns nicht schöneres Gewinnen – – –